Ajubel: Robinson Crusoe

Der kubanische Künstler Alberto Morales Ajubel verwandelte Daniel Defoes Klassiker in ein atemberaubendes Bilderbuch, das vor Intensität und Farbenpracht nur so strotzt. Es sollte in der Tradition der Stummfilme stehen, sagt er in einem Inteview mit der Zeit. Mehr als 70 Gemälde erzählen die Geschichte von Robinson Crusoe in einer einzigartigen Bildsprache, die teilweise eine Dynamik versprüht, als bewegten sich die Bilder. Vergrößerte Details vermitteln u.a. diesen Eindruck.

Ajubel gewann mit diesem und anderen Werken unzählige Preise. Auf seiner Webseite finden sich zahlreiche weitere Illustrationen z.B. zu Roberto Bolano oder Rudyard Kipling. Einige Bücher sind nur als E-Book erhältlich. Ein Besuch lohnt sich in jedem Fall, man kann sich kaum sattsehen an den wunderbaren Illustrationen.

In eigener Sache: Neben den Illustrationen Ajubels sollen hier demnächst weitere besonders schöne Bücher aus aller Welt im Mittelpunkt stehen.

Weiterführende Links:
Die Zeit: Interview mit Ajubel
Webseite von Ajubel

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Iarla Ó Lionáird: Na mBeannaíochtaí

Bevor demnächst – wann immer das auch sein mag – mal wieder ein paar (außergewöhnliche) Bücher im Mittelpunkt stehen sollen, gibt es zwischendurch etwas Musikalisches. Über den Soundtrack zum irischen Film Calvary bin ich auf den irischen Singer-Songwriter Iarla Ó Lionáird aufmerksam geworden, dessen Stimme bei mir einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Auf seiner Homepage habe ich gelesen, dass ich ihn eigentlich schon aus den Soundtracks zu „Gangs of New York“ und „Hotel Rwanda“ kennen müsste, aber das ist wohl schon zu lange her. Er hat außerdem schon 4 Soloalben veröffentlicht und ist an diversen anderen Projekten beteiligt.

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Salut! 你好 Ciao! приве́т! Ahoj!…

Die Diskussion um Buch und E-Book (ich vermeide bewusst ein «Oder» dazwischenzustellen) wird auch heute noch mit überraschender Schärfe geführt. Ich möchte die in meinen Augen ermüdende Diskussion an dieser Stelle nicht neu befeuern, sondern generell über eine weitere, sinnvolle Verwendung von geschriebenem und gesprochenem Wort im Dateiformat berichten.

Zu den grundsätzlichen Methoden des Spracherwerbs zählen Hören, Sprechen, Lesen und Schreiben. Einige werden sich vielleicht noch an die verrauschten Tonbandkassetten im Englischunterricht erinnern, die meist viel zu laut abgespielt wurden. Wohl dem, der in der letzten Reihe saß. Mit der CD gehörte das Rauschen ebenso der Vergangenheit an, wie das lästige Zurückspulen. Ob mit Kassette oder CD, schon damals empfahl es sich, den eingesprochenen Texten und Dialogen zu lauschen. Im Zeitalter des E-Books und Hörbuchs hat sich daran nichts geändert. Jedoch war es nie einfacher und günstiger, sich sein eigenes kleines Sprachlabor zu schaffen und die besten Lernmethoden zu kombinieren. Ein wunderbares Programm, das ich seit knapp 2 Jahren nutze, steht dabei im Mittelpunkt:

Learning with Texts

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Die Software entstand ursprünglich aus einem Hobbyprojekt des Entwicklers, der sie erfreulicherweise der Allgemeinheit zur Verfügung gestellt hat, d.h. sie ist kostenfrei, kann beliebig genutzt und bei Bedarf auch verändert werden. Unterstützt werden die bekanntesten Systeme (Windows, Linux, Macintosh). Sofern man die gut dokumentierten Installationshinweise berücksichtigt, sollte es keine größeren Probleme geben und man kann sehr schnell loslegen. Aufgrund der großen Anzahl an Linux-Distributionen gibt es nicht für jede einzelne eine genaue Installationsanleitung, was zu Komplikationen führen kann, je nach Erfahrungsschatz. Aus diesem Grund werde ich am Ende ein paar hoffentlich nützliche Hinweise zur Installation unter openSUSE geben.

Sind die Vorarbeiten erledigt, geht es an die Feinheiten. Je nach Sprache müssen noch spezielle Zeichensätze und Verknüpfungen zu Online-Wörterbüchern hergestellt werden, will man nicht auf die voreingestellten der Demo-Datenbank zurückgreifen. Die meisten Wörterbücher sollten funktionieren. Es ist ratsam, sich ein bisschen Zeit zur Recherche zu nehmen, um die besten Wörterbücher auszuwählen. Da man mehrere Wörterbücher einbinden kann, ist es möglich auch Seiten zur Flexion einzubinden. Auf diese Weise hat man je nach Reihenfolge auf Mausklick zuerst die Übersetzung [Dict1]. Ist man sich bezüglich Kasus, Tempus, Numerus oder anderer Merkmale unsicher, lässt sich auch diese Frage mit einem Mausklick [Dict2] beantworten. Die jeweiligen Übersetzungen trägt man in das dafür vorgesehene Feld ein (oder kopiert sie). Das mag auf den ersten Blick umständlich und zeitraubend klingen, muss aber natürlich in jeder Sprache nur einmal vorgenommen werden und hat seinen Lerneffekt. In jedem weiteren Text, den ich im Programm nutze, zeigt das Wort beim Mouseover nun die Übersetzung(en) an, die ich eingetragen haben. Zudem ist es mit der Farbe hinterlegt, mit der ich es verknüpft habe und die meinen Wissensstand anzeigen soll. Dazu stehen 5 Stufen des Lernens zur Verfügung, von rot (unbekannt) bis hin zu grün (gelernt). Bekannte Vokabeln, die man nicht mehr zu lernen braucht, kennzeichnet ein grüner Unterstrich. Eine Funktion zum Ignorieren von z.B. Namen gibt es ebenso. Zudem lassen sich auch tags vergeben. Hier sollte z.B. Person, Numerus, Tempus o.ä. eingetragen werden. Wie (zeit-)aufwendig und gewissenhaft man das macht, bleibt jedem selbst überlassen.

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Die Arbeitsfläche von „Learning with Texts“ mit den Voreinstellungen für Französisch. Die Fabel „Le Corbeau et le Renard“ von Jean de la Fontaine stammt aus dem Internet Archive (Public Domain).

Bevor es zur Arbeit mit dem Text kommt, muss der erst einmal gefunden werden. Hierzu gibt es unzählige Möglichkeiten, die man seinen Vorlieben und seinem Wissensstand anpassen kann. Zum Einstieg finde ich etwas kürzere Texte ganz gut, da ein Ende in Sicht ist und so die Motivation eher erhalten bleibt. Klassische Texte, die mittlerweile frei von Urheberrechten sind, finden sich im Netz in sehr großer Zahl, erfreulicherweise ebenso in gesprochener Form als Audiodatei. So ist es ein Leichtes, ohne finanziellen Aufwand, die Fabeln von Jean de la Fontaine im französischen Original zu lesen und zu hören. Das Internet Archive sei als eine von zahlreichen Anlaufstellen genannt. Zur Verknüpfung von Text und Audiodatei muss Letztere nur in den dafür vorhergesehenen Ordner gespeichert werden und mit dem richtigen Pfad auf sie verwiesen werden.
Sollte man nicht auf Zeitgenössisches verzichten können, z.B. den neuesten Murakami, dann kann man sich das japanische E- und Audiobook kaufen. Sicher nur etwas für Fortgeschrittene oder sehr ambitionierte Lerner. Bedenken sollte man dabei auch, dass die Texte nicht unendlich lange sein dürfen und man die Audiodatei(en) deshalb eventuell selbst zerstückeln muss. Auch das sollte normalerweise keine große Sache sein, kann aber womöglich durch Kopierschutzmechanismen erschwert werden. Da bin ich leider nicht auf dem Laufenden. Alternativ nutzt man einfach einen anderen Player im Hintergrund und setzt sich dort Lesezeichen.

Die Software wird regelmäßig verbessert und vorhandene Bugs beseitigt. Den vollständigen Funktionsumfang kann man sehr ausführlich und schön bebildert auf der Webseite nachlesen. Vokabeln oder Phrasen lassen sich nach dem Karteikartenprinzip lernen, sowohl mit oder ohne Kontext. Annotationen lassen ein Lernen nach der Methode von Vera F. Birkenbihl zu. Zu beherzigen sind hier allerdings die Hinweise in der Anleitung, um sich die Arbeit nicht umsonst zu machen. Statistiken zeigen nicht nur den Fortschritt im Text und die bekannten und weniger bekannten Begriffe an, sondern ermitteln bei regelmäßiger Benutzung des Programmes mithilfe einer Formel auch die Notwendigkeit der Wiederholung. Es motiviert einfach, wenn sich aus einem vormals einfarbigen Text, für unbekannt stehend, mit der Zeit die Reihen lichten. Wenn mehrere Texte einer Sprache abgespeichert sind, verändert sich auch da automatisch die Prozentzahl der unbekannten Worte.

Wem die Software nicht genug ist, der kann zusätzliche technische Möglichkeiten und Programme nutzen. Man kann ein Headset/Mikrofon benutzen, um sich die eigene Aussprache aufzunehmen, anzuhören und zu vergleichen. Für fremde Alphabete gibt es zweisprachige Tastaturen (zu finden bei ebay), die man entweder an den Rechner anschließen oder ins Laptop einbauen kann. Für den Einbau in ein Laptop sollte man ein klein wenig handwerkliches Geschick mitbringen, da man in der Regel nicht so leicht an die Tastatur kommt, wie an Speicher oder Festplatte. Mit Geduld und Vorsicht ist das allerdings auch kein Hexenwerk. Diese zweisprachigen Tastaturen gibt es sicherlich nicht für jeden Laptoptyp und meistens in Verbindung mit einem englischen Layout (QWERTY statt QWERTZ). Zeichen und Umlaute stimmen dann nicht mehr mit dem deutschen Layout überein. Wer damit leben kann, hat jedenfalls eine langlebige Lösung im Vergleich zu Aufklebern, die trotz des Versprechens, ewig zu halten, aus eigener Erfahrung relativ schnell wieder an den Fingern kleben.

LWT unter openSUSE

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Wenn man sich unter Linux niemals mit PHP oder MySQL beschäftigt hat (so wie ich), kann man schnell mal an Kleinigkeiten scheitern, die mit der eigenen Konfiguration oder Zugriffsrechten zusammenhängen. Daher hier nun eine kleine Auflistung, wie man unter openSUSE vorgehen kann, um mit LWT zu arbeiten. Als Browser benutze ich den Firefox. Prinzipiell kann man sich an die Anleitung zur Installation von LWT unter Ubuntu halten, muss jedoch ein paar Änderungen und Ergänzungen beachten, auf die ich hier kurz eingehen möchte:

1. LAMP-Server installieren (YaST-Kontrollzentrum → Software installieren)
2. MySQL Passwort vergeben, Datenbank anlegen (irgendwo habe ich gelesen, dass das automatisch geschehen sollte, aber es hat bei mir zumindest nicht geschadet).
3. Wichtig: Die Daten von der Downloadseite müssen unter openSUSE in folgendes Verzeichnis kopiert werden (bzw. dieses angelegt werden): /srv/www/htdocs/lwt
4. Das Umbenennen der «connect_xampp.inc.php» in «connect.inc.php» muss dann auch an diesem Ort stattfinden, am besten über die Konsole mittels «mv connect_xampp.inc.php connect.inc.php» und dann über (sudo) nano öffnen und wie unter obigem Link beschrieben bearbeiten
5. Wichtig: Im YaST-Kontrollzentrum unter Netzwerkdienste den HTTP-Server einrichten (Voreinstellungen übernehmen)
6. phpmyadmin installieren, jston extension installieren (YaST-Kontrollzentrum → Software installieren)
7. Apache-Server neu starten (YaST-Kontrollzentrum → System → Dienste-Verwaltung)
8. Um den Audioplayer zum Laufen zu bringen und allgemein Zugriffsrechte zu gewähren, die zum Schreiben und Speichern nötig sind gehe ich über die Konsole in das Verzeichnis, in der der lwt-Ordner liegt. In unserem Fall der Befehl «cd srv/www/htdocs/lwt». Hier dann folgenden Befehl eingeben: « sudo chmod -R 775 lwt». Aus Sicherheitsgründen ist 775 der 777 vorzuziehen.

In Verbindung mit der Anleitung für Ubuntu sollte der Arbeit mit «Learning with Texts» nichts mehr im Wege stehen. Trotzdem möchte ich darauf hinweisen, dass ich kein Experte auf diesem Gebiet bin und die Anleitung durchaus Überflüssiges enthalten kann. Bei mir funktioniert das Programm, also gehe ich davon aus, dass keine groben Fehler vorhanden sein sollten. Bei Verbesserungen/Ergänzungen/Bemerkungen bitte einfach über die Kommentarfunktion melden. Viel Spaß beim Lernen!

Weiterführende Links:
LWT-Homepage mit allem, was man braucht
Internet Archive (für Texte und Audiodateien)
Beispiellink Le Corbeau et le Renard (Audio)
Beispiellink Le Corbeau et le Renard (Text)

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Seitengeschnetzeltes II

Seit ich die Kategorie auf meinem Blog einführte, ist viel Wasser den Main hinab geflossen. Besonders viel hat sich hier ansonsten nicht getan. Gelesen habe ich dennoch einige interessante Bücher, von denen insbesondere Felix Philipp Ingolds „Alias oder Das wahre Leben“ einen Artikel verdient gehabt hätte, für den ich aber nicht die Zeit aufbringen konnte, um diesem Buch gerecht zu werden. Die komplexe Struktur allein macht eine tiefergehende Auseinandersetzung unausweichlich.  Vielleicht waren es aber Zweifel daran, ob ich dem Buch gerecht werden könnte, die mich hinderten, etwas darüber zu schreiben. Zurzeit lese ich Dubravka Ugrešićs „Karaokekultur“ (das mich sehr zum Nachdenken bringt) und einen Band mit Erzählungen. Der zweite Teil der Tagebücher Susan Sontags ist vor kurzem bei mir eingetroffen und ich bin schon gespannt, was mich auf den über 500 Seiten erwartet. Zwischendurch tauche ich in die lyrischen Welten des jüngsten Gedichtbands „Quittenstunden“ von Marica Bodrožić ab. Bis es demnächst, so hoffe ich, mal wieder die eine oder andere Buchbesprechung/-empfehlung geben wird, hier also die zweite Ausgabe an Linktipps zum Stöbern.

Aus besonderem Holz geschnitzt…

…sind die Arbeiten des tschechischen Künstlers Martin Patřičný, die ich 2010 im Prager Landwirtschaftsmuseum (Národní zemědělské muzeum) bewundern konnte. Dank des Internets habe ich sie jetzt wiedergefunden.  Viele seiner Werke sind Mosaike aus verschieden(farbig)en Hölzern, deren Oberfläche auf unterschiedliche Weise bearbeitet wurde. Wenn ihr auf das obige Bild klickt, gelangt ihr zur Homepage des Künstlers, die auch eine englische Benutzeroberfläche mit ausführlichen Informationen beinhaltet. In meinen Augen sind das filigrane Meisterwerke, die die Vielseitigkeit von Holz eindrucksvoll unter Beweis stellen. Die Maserung, Jahresringe und knorrige Äste der farbenfrohen, unterschiedlichen Hölzer, ergeben in verschiedensten Größen und Formen kombiniert faszinierende Collagen.

Flavorpill  präsentiert auf ihrer Webseite die 25 schönsten öffentlichen Bibliotheken der Welt. Den Superlativ hätte man sich bestimmt sparen können, davon abgesehen befinden sich sehr schöne und architektonisch außergewöhnliche Gebäude in dieser Liste, die auf jeden Fall einen Blick und wenn möglich einen Besuch lohnen. (via)

The Story of Sushi

Bei Philea konnte man Anfang März über Slinkachu lesen, dessen Arbeiten durch den besonderen Blickwinkel bzw. die Verhältnismäßigkeit eine große Anziehungskraft ausstrahlen. In den Kommentaren machte wortmeer auf die beeindruckenden, fotografisch festgehaltenen Miniaturwelten von Frank Kunert aufmerksam. In diese Richtung gehen auch die Arbeiten der Amerikanerin Lori Nix. Sie bastelt kleine Dioramen, in denen sie Naturkatastrophen in Szene setzt oder Installationen zeigt, wie sie in Naturkundemuseen zu sehen sind bzw. waren. Ist das Diorama fertig, wird es entsprechend belichtet und es werden Aufnahmen gemacht. Die Fotografien sind das Kunstwerk, sagt Lori Nix, die die Magie im Zweidimensionalen sieht. Aus diesem Grund kann sie es kaum erwarten, die Dioramen auseinanderzunehmen, wenn die Szenen auf Film gebannt sind. Einige wenige Sachen hebt sie auf, der Rest wandert in den Müll. Großen Wert legt sie darauf zu betonen, dass sie ihre Illusionen ohne digitale Hilfsmittel oder Retusche herstellt. Ihre Fotografien zeigen genau das, was die Kameralinse einfängt. Und das sind ganz wunderbare, kunstfertige Aufnahmen, die man auf ihrer Webseite bestaunen kann. Bei der Arbeit zeigen sie diese Videos (#1, #2)

Das jüngste Projekt, an dem sie beteiligt war, hatte einen Film mit dem Titel „The Story of Sushi“ zum Ergebnis und kritisiert u.a. die Fangmethoden, z.B. das Problem des Beifangs, die Verarbeitung und die Transportwege in der Fischfangindustrie. Die Umsetzung der Zukunftsvision am Ende ist wünschenswert. (via)

Vergessen, vernachlässigt, verkannt

Auf der Suche nach dem Besonderen? Auf den Mikroblogs „Writers No One Reads“ und „(un)justly (un)read“ finden sich Werke von Schriftstellern, die mit den Adjektiven „forgotten, neglected, abandoned, forsaken, unrecognized, unacknowledged, overshadowed, out-of-fashion, under-translated” versehen sind. Die Linklisten sind weitere Fundgruben, fürs Auge die „Invisible Stories“.

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¿Dónde está Wally?

In Michel Butors „Der Zeitplan“ bemächtigt sich die Stadt ihres Protagonisten, langsam und schleichend, wie das Virus seines Wirts. Butor zeichnet ein düsteres, nebulöses Bild, das schwer zu durchschauen ist. Voller Gegensätze und Widersprüche ist die Großstadt im Allgemeinen. Einerseits der pulsierende Schmelztiegel der Kulturen, Ort der Entfaltung und Selbstverwirklichung, Eldorado der Kreativen und Intellektuellen, andererseits der Moloch, der das Positive verschlingt und in dem stattdessen Einsamkeit, Entfremdung und Anonymität blühen. Ein Beispiel für alles, was gut und schief läuft in unserer Gesellschaft.
Was machen Großstädte mit uns? Was machen wir mit ihnen? Was stellen sie dar? Ist es die Stadt, die uns mehr beeinflusst oder ist es unser Lebensstil? Welchen Einfluss übt die Architektur auf unser Befinden aus? Fragen, besonders Letztere, über die ich mir schon mehrmals Gedanken gemacht habe. Fragen, mit denen sich auch ein wunderbarer Film aus Argentinien beschäftigt.

Medianeras

Martín (Javier Drolas) lebt in Buenos Aires und fühlt sich, als habe er die letzten 10 Jahre hinter dem Rechner verbracht.  An Panikattacken und sämtlichen Neurosen und Phobien leidend, verkroch er sich in seinem düsteren, einfenstrigen Einzimmerapartment und perfektionierte seine Fähigkeiten im Videospiel. Sein Beruf als Webdesigner zwang ihn nicht nach draußen. Martín befindet sich auf dem Weg der Besserung. Mit seinem Psychiater, den er zwei Mal die Woche aufsucht, entwickelte er eine Strategie, seine Angst vor der Stadt zu überwinden: die Fotografie. Seine Art, die Stadt und ihre Menschen wiederzuentdecken. Beobachtend, sich selbst ablenkend, das Schöne suchend, wo es nicht offensichtlich ist. Sein gefüllter Überlebensrucksack begleitet ihn bei seinen Fußmärschen aus der Isolation.

Mariana (Pilar López de Ayala) ist seit zwei Jahren Architektin, in denen sie, von unbewohnbaren Modellen abgesehen, bisher nichts erbaut hat. Auch bei anderen Konstrukt(ion)en in ihrem Leben erging es ihr nicht viel besser. Ihre vierjährige Beziehung stürzte trotz intensiver Bemühungen sie zu stützen, in sich zusammen. Ihr unordentliches Leben in Kartons verpackt, sitzt Mariana in ihrer Schuhschachtel (so werden die kleinen Apartments auch genannt) und lässt Luftpolsterfolie knallen, um nicht selbst zu platzen. Gerne würde sie in ihrem Lieblingsgebäude, dem Planetarium, abheben und diese Welt verlassen. Gleichzeitig erdet sie dieser Platz, erinnert sie daran, dass sich die Welt nicht um sie dreht. Bis sie als Architektin arbeiten kann, richtet sie Schaufensterscheiben ein. Zurzeit spielen männliche Schaufensterpuppen eine größere Rolle in ihrem Leben, als ihr lieb sein kann.

Martín und Mariana leben in nebeneinander liegenden Gebäuden und kennen sich nicht obwohl sie sich hin und wieder über den Weg laufen. Können sie zueinander finden?

Gustavo Tarettos Film ist ein Kleinod, das aus der Fülle an belanglosen und kitschigen Filmen über Zwischenmenschliches herausragt. In der brillanten und poetischen Einführungssequenz werden in künstlerischen Bildern die Gegensätze und Zwänge der Großstadt durch die Architektur beleuchtet. Mittels der Poesie der Bilder und der Monologe der Hauptfiguren erreicht „Medianeras“ eine Tiefe, die den meisten Filmen dieses Genres abgeht. Welches Genres eigentlich? So genau festlegen möchte ich mich dabei gar nicht und noch einmal zur Einleitung zurückkehren. Die Stadt und das Leben in ihr, werden hier auch zu einer Art Protagonist, es ist ganz sicher ebenso ein Stadtfilm, wie ein Drama oder eine Komödie. Das Scheitern in Beziehungen, Isolation, Sehnsucht, Liebe, Einsamkeit, in und vor dem Hintergrund der Stadt, sind Themen des Films. Ein weiteres zentrales Motiv des Films sind die digitalen Kommunikationsmittel heutigentags. Da werden nach einer gescheiterten Beziehung keine Fotos mehr zerrissen, sondern 38.9 Megabyte Geschichte in den Mülleimer verschoben. „Wenn doch nur der Kopf so gut funktionieren würde, wie mein Mac“ sagt Mariana in einer Szene. Liebenswerte und originelle Einfälle (Animationen, Visualisierungen, Das Wimmelbilderbuch Wally, das Klavier usw.) gibt es ebenso zu entdecken, wie kritische und nachdenkliche Töne. „Wozu sind die Kilometer an Kabel, die über der Stadt gespannt sind? Um uns zu verbinden oder zu trennen?“

Ein feiner Humor, natürliche und sympathische Darsteller sorgen dafür, dass der Film bestens unterhält, aber dennoch die Oberfläche verlässt. „Medianeras“ ist ein kluger, feinfühliger Film aus Argentinien, der mir lange im Gedächtnis bleiben wird.

Der Film ist letztes Jahr in Frankreich und kürzlich in den USA und in der Schweiz auf DVD erschienen.

Weiterführende Links:
Homepage
DVD bei Trigon

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