lit.COLOGNE-Nachlese

Elf Tage lit.Cologne mit über 160 Veranstaltungen gingen am Samstag zu Ende. Ganze vier Lesungen davon habe ich besucht, zu dreien bin ich noch ein paar Worte schuldig.

Andrea Levy & Maria Schrader singen das lange Lied eines Lebens

Am Montagabend ging es also erneut in die abermals bis auf den letzten Platz gefüllte Kulturkirche Köln. Durch den Abend führte Margarete von Schwarzkopf. Zusammen mit Andrea Levy und Maria Schrader unternahmen wir eine Reise in das Jamaika des neunzehnten Jahrhunderts auf eine Zuckerplantage mit ihren Sklaven. Eine davon ist Miss July, deren Geschichte das Buch erzählt.

Andrea Levy, die selbst jamaikanische Wurzeln hat, berichtete davon wie schwer sich die Recherche gestaltete, da es nur sehr wenige Dokumente gebe, die Zeugnis über diesen dunklen, Jahrhunderte dauernden Abschnitt der Geschichte ablegten. Als Schriftstellerin wusste sie natürlich, diese Lücken zu füllen. Trotz der Unmenschlichkeit, der die Sklaven ausgesetzt waren, wollte sie die Gesellschaft, in der diese lebten, mit allen Facetten darstellen. Dazu gehörte neben dem Schrecklichen auch das Alltägliche, das Lachen, das Getratsche, das Leben der Sklaven untereinander. Es sind extreme Kontraste die aufeinanderprallen, wenn im Herrenhaus die besten Speisen aufgetischt werden und wenige Meter weiter die Sklaven kaum zu Essen haben. Um zu überleben brauchten die Sklaven jedoch mehr als nur den Willen dazu. Geschick, Gerissenheit, Stärke und nicht zuletzt Humor. Ohne Humor hätte Andrea Levy die Auseinandersetzung mit dem Thema der Sklaverei über einen so langen Zeitraum (wie viele Jahre es waren, vermag ich nicht mehr zu sagen) wohl nicht ertragen.

Anhand verschiedener Passagen, die aus dem Buch gelesen wurden, gewann ich dann auch den Eindruck, dass es sich um ein sehr lebendiges, energiegeladenes, lebensbejahendes Werk handelt, das einen schnell in die Gesellschaft und Zeit eintauchen lässt. Maria Schrader vermochte zumindest diese Vorstellung mit ihrem eindrucksvollen Vortrag bei mir zu erwecken. Aus Film und Fernsehen war sie mir bekannt, welch hervorragende Vorleserin in ihr steckt, ist bisher an mir vorüber gegangen. Es war ein Hochgenuss durch ihre Stimme der Geschichte zuzuhören, die unter ihrer Darbietung aufzublühen schien. Die Leidenschaft, mit der sie las, war ansteckend. Andrea Levy spürte das auch, obwohl sie meines Wissens nur ein paar Brocken Deutsch versteht. Sie selbst las recht kurze Abschnitte aus ihrem Buch in Jamaikanisch-Kreolischem Englisch. Das trug zur Atmosphäre bei und war eine ganz eigene Klangwelt, die jedoch hohe Konzentration erforderte, um sie ganz zu verstehen.

Rassismus und andere Themen und Anekdoten wurden noch angeschnitten bzw. zum Besten gegeben. Für mich war es ein kurzweiliger Abend an dem mich besonders die Lesung von Maria Schrader beeindruckt hat.

Andrzej Bart & Jan-Gregor Kremp inspizieren die Fliegenfänger der Fabrik

Der Donnerstag hielt am Abend in der Schlosserei eine Lesung eines großen Literaten aus Polen bereit, Andrzej Bart, dessen Werke bisher nicht ins Deutsche übersetzt wurden. Das änderte sich nun mit „Die Fliegenfängerfabrik“.

In einem fiktiven Prozess steht Chaim Rumkowski, Vorsitzender des Judenrates im Ghetto Łódź, vor Gericht. Diese höchst umstrittene, historische Figur steht neben Berichten über das Leben im Ghetto, dem Umgang der Juden untereinander, z.B. je nach Herkunft als West- oder Ostjuden bezeichnet, im Zentrum des Abends. Gerade bei historischen Stoffen wie diesem, ist es meines Erachtens besonders wichtig, Aussagen und Daten korrekt wiederzugeben. Um der Gefahr zu entgehen, Orte und Daten zu verwechseln verzichte ich auf diese Details.

Herausheben möchte ich den Moderator des Abends, Olaf Kühl, der fließend Polnisch spricht und der mit seinen Fragen großen Anteil daran hatte, dass die Diskussion hochinteressant verlief. Zudem machte er sich laufend Notizen und konnte Bart in seinen Antworten relativ lange sprechen lassen, bevor er übersetzte. Für mich die schwierigste, aber gleichzeitig auch beste Moderation der von mir besuchten Lesungen. Die Frage, wie man über Menschenleben entscheidet, ob man sie gegeneinander aufrechnen darf, wird im Buch auch verhandelt. Rumkowski spaltet noch heute die Menschen. Jan-Gregor Kremp las mehrere Fragmente des Buches und traf dabei die richtige Tonlage, wie auch Andrzej Bart anerkennend bemerkte und beklatschte.

Der Abend war natürlich auch schockierend, gerade bestimmte Details, die den Holocaust betrafen, waren nur schwer erträglich. In erster Linie war es aber ein Abend, dessen Fragestellungen und Umgang mit der Geschichte hochinteressant zu folgen war. Unter den Zuhörern befand sich auch eine Darstellerin der Verfilmung des Romans. Wie bei allen Lesungen konnte man sich sein Exemplar am Ende der Lesung signieren lassen.

Kim Leine & Richy Müller erforschen die Untreue der Grönländer

Den Abschluss meines Programms bildete mit Kim Leine ein dänischer Schriftsteller, den es eine Zeitlang nach Grönland verschlagen hatte. Bei der Begrüßung im ausverkauften Bismarck Saal des WDR wurde Richy Müller vergessen, der einige Minuten später mit umso mehr Applaus bedacht wurde, als der Moderator beabsichtigt beiläufig erwähnte, je länger man warte, umso besser sei der Empfang.

Die von Richy Müller dezent aber gefühlvoll gelesenen Ausschnitte empfand ich als fein beobachtete Geschichten über die Sehnsüchte und Träume der Menschen eines Dorfes in Grönland. So zum Beispiel die eines Außenseiters mit Sprachfehler, der ein schwangeres Mädchen liebt. Was man so im Gespräch zu hören bekam, gab es eine ganze Menge an Erlebnissen, die Leine in seinen Geschichten verarbeitet hat. Er betonte mehrmals, dass es ihm nicht darum ginge, den Grönländer an sich zu charakterisieren (sofern überhaupt möglich), sondern einzelne Individuen, die er in Grönland auch tatsächlich teilweise so angetroffen habe. Er habe kein politisch korrektes Grönlandbild zeichnen wollen, sondern nur das der Menschen eines Dorfes.

Sehr persönliche Dinge erfuhren die Zuhörer aus dem Leben des Schriftstellers, der in seiner Jugend vom eigenen Vater missbraucht wurde und für den sein Leben in Grönland ein Neuanfang sein sollte. Das Schreiben sei Anfangs eine Notwendigkeit gewesen und mit jedem Roman bewege er sich ein weiteres Stück weg vom Autobiografischen.
Sprachlich trafen sich Moderator und Autor in Englisch als gemeinsamen Nenner. Man erfuhr viel aus dem Leben des Autors und spürte, was das Schreiben für ihn bedeutet. Dadurch, dass beide sich in einer fremden Sprache begegneten, fiel die Diskussion im Vergleich zur Fliegenfängerfabrik natürlich spürbar ab, was aber nicht heißen soll, dass sie uninteressant gewesen wäre. Leine, der auch eine kleine Passage auf Dänisch las, bedankte sich bei dem großen Publikum, dem größten, vor dem er bisher gelesen habe.

Mein Fazit der lit.COLOGNE ist durchweg positiv, alle Lesungen hatten ihren Reiz, die persönliche Begegnung mit den Autoren war das Sahnehäubchen.

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7 Antworten zu lit.COLOGNE-Nachlese

  1. klappentexterin schreibt:

    Oh, das klingt nach wunderbaren Momenten im Literaturbad. Danke für deinen ausführlichen Bericht! Vor allem dieses Ganz-nah-an-den-Autoren-dran-sein mag ich, bei denen man noch mehr erfährt als sonst, wenn man das Buch einfach nur liest.

    Viele Grüße

    Klappentexterin

    • wortlandschaften schreibt:

      Ich habe jetzt noch ein paar Bilder von der Lesung von Andrea Levy gefunden, die sehr schön zeigen, was für ein atmosphärischer Ort die Kulturkirche ist. Da nimmt man gern die unbequemeren Holzbänke in Kauf.

      Viele Grüße

  2. Mariki schreibt:

    The Long Song von Andrea Levy hab ich mir gerade gekauft … und freu mich schon drauf!

    • wortlandschaften schreibt:

      Viel Spaß, ich freu mich auf Deinen Bericht zum Buch. Ich nehme an, Du hast Dir die Originalausgabe gekauft. An dem Abend wurden dort auch die dt. Übersetzung und die englische Ausgabe angeboten. Ich musste mich aber zurückhalten, weil das mein Budget gesprengt hätte. Gereizt hat es mich schon. Mal abwarten, wie es Dir gefällt.

      • Mariki schreibt:

        Ja, ich hab es auf Englisch genommen (um 10 Euro). Ich hab vor einiger Zeit schon Small Island von ihr gelesen und war recht angetan!

  3. Mariki schreibt:

    Sag mal, wollen wir vielleicht einen Linktausch machen? Ich würde deinen schönen Blog gern in meine Blogroll aufnehmen und mich im Gegenzug auch über eine Verlinkung freuen. http://buecherwurmloch.wordpress.com

    • wortlandschaften schreibt:

      In meine Linkliste bist Du schon aufgenommen gewesen. 😉
      Meine ursprüngliche Blogroll hatte ich entfernt und zu den anderen Links gepackt, weil äußerst selten mal einer angeklickt wurde. Da haben jetzt auch mehr Links Platz und die Übersicht spielt keine so große Rolle. Ich freue mich natürlich sehr, wenn Dir mein Blog gefällt und Du es verlinken magst.
      Bei Dir schaue ich immer gerne vorbei, wenn auch lange Zeit als stiller Leser.

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